Am 20. Mai 1832 starb der große Theologe, Seelsorger und Erwecker religiösen Lebens Johann Michael Sailer als Bischof von Regensburg. Die Feier des 150. Todestages gibt Anlass, sich auf Sailers Bedeutung und Vermächtnis zu besinnen.
Zeitgenossen und Spätere rühmten ihn als "Apostel Bayerns" (König Ludwig I.), als "bayerischen Kirchenvater" und "Heiligen jener Zeitenwende" (Philipp Funk).
Sein Leben vollzog sich im revolutionären Umbruch der abendländischen Welt. In seiner Jugend trug Bayern noch das "geistliche Gesicht" der Barockzeit. Sailer erlebte das Vordringen der Aufklärung bis zur Radikalität der Spätzeit, die Französische Revolution (seit 1789) mit ihren Auswirkungen auf ganz Europa und Amerika, die Säkularisation in Deutschland mit dem Ende der geistlichen Staatsgebilde (1803), mit der Aufhebung der Stifte und Klöster, dem Ende der katholischen Universitäten, die napoleonischen Kriege und den Untergang des alten Reiches (1806), die Gefangensetzung der Päpste Pius VI. und Pius VII., die politische Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongreß (1815) und die anschließende Neuorganisation der überall schwer erschütterten Kirche.
Im Geisteskampf der Philosophen und Ideologen legte er als Universitätslehrer und Prediger - mit seiner ganzen Existenz - glaubensstark und geistesmächtig Zeugnis ab für die Lebenskraft der christlichen Botschaft. Für sie prägte er die Kurzformel: Gott in Christus - das Heil der Welt. Sailer trat in einen ehrlichen Dialog mit seiner zeit und hat dabei die Identität des christlichen Glaubens getreu bewahrt. Er hat die Aufgabe des Christseins exemplarisch gemeistert.
Neben dem mündlichen Wort Sailers steht ein gewaltiges literarisches Werk, vom berühmten "Vollständigen Lese- und Betbuch" zur klassischen Übersetzung der "Nachfolge Christi", zu grundlegenden Werken für den notwendigen religiösen und theologischen Neubau, vor allem zur christlichen Erziehung und Verkündung, zur Priesterbildung, zur Moral- und Pastoraltheologie.
Sailer stand in lebendiger Auseinandersetzung mit allem, was die Menschen seiner Zeit bewegt hat, aufgeschlossen, gütig, sprachgewaltig: ein Erwecker religiösen Lebens und treuer Kirchlichkeit, ein Meister der "gottseligen Innigkeit". Über seine Priesterschule und einen weiten Freundeskreis, über sein gesprochendes und geschriebenes Wort, ging sein Einfluß weit über Bayern hinaus, nach Württemberg und Baden, in die deutsche Schweiz, nach Österreich, ins Rheinland und nach Preußen. Sein vorglebtes Beispiel machte ihn zum Erzieher und Seelsorger.
Mitte und Ausstrahlung seiner Persönlichkeit hat Melchior von Diepenbrock, Sailers vertrauter Sektretär der Regensburger Jahre, der spätere Fürstbischof und Kardinal von Breslau, treffend so umschrieben: "Das durchscheinende Geheimnis seines inneren Lebens war die stete Gegenwart Gottes". Bei der katholischen Erneuerung Deutschlands im frühen 19. Jahrhundert ist Sailer mit an derster Stelle zu nennen. Seine ökumenische Einstellung war wegweisend. Viele seiner kirchlichen Anliegen hat das II. Vatikanische Konzil erneut aufgegriffen. Sailers Andenken konnte zeitweilig verdunkelt werden. Seine menschliche, christliche Größe leuchtet hell in der gegenwärtigen Zeit.